
Parallel zur Veröffentlichung von „Skeletá“ schossen die ersten Meinungen und Rezensionen wie Pilze aus dem Boden. Im Durchschnitt zeigen sich viele recht zufrieden mit dem neuen Album von GHOST. Doch unter den Fans wird wieder heftig diskutiert und nicht wenige äußern ihre Unzufriedenheit. Manch einer hatte einfach mehr erwartet. Doch was genau sind diese Erwartungen? Und was darf man als „Fan” überhaupt erwarten?
Fest steht: Tobias Forge hat seine Liebe zum Rock der 80er Jahre so deutlich wie nie zuvor in „Skeletá“ einfließen lassen. Doch genau das ist für einige ein Kritikpunkt. Für sie klingt das Album nicht mehr genug nach „Ghost“. Gerade bei dieser Veröffentlichung ist es aber wichtig, mit einer gewissen Neutralität an die Sache heranzugehen. Ghost sind heute an einem Punkt angelangt, an dem man sie ohne Zweifel zu den größten Rockbands der Gegenwart zählen kann. Dass sich Tobias Forge dabei nicht einfach wiederholen will, dürfte mittlerweile jedem klar sein. Es ist eine Herausforderung, seiner künstlerischen Vision treu zu bleiben und gleichzeitig ein breites Publikum zu erreichen. Aber genau das ist das Geschäft. Wer als Künstler und Entertainer wachsen will, muss manchmal Kompromisse eingehen. Das heißt aber nicht, dass Ghost mit „Skeletá“ künstlerisch zurückgesteckt hätten. Im Gegenteil: Das Album wirkt reifer, erwachsener und genau das passt zur aktuellen Phase ihrer Karriere. Der Begriff „erwachsen“ ist dabei zentral: Er spiegelt die Entwicklung der Band und den Weg wider, den sie bis heute gegangen ist.
Am Ende gilt: Die Geschmäcker sind verschieden – und das ist auch gut so.
Das neue Werk von Ghost beginnt zunächst überraschend versöhnlich – doch der Eindruck täuscht. „Peacefield“ ist laut Bandkopf Tobias Forge eine ausgestreckte Hand, die den Hörer auf die Höhen und Tiefen des Albums vorbereiten soll. Der Weg ist steinig, düster und hart, aber am Ende wartet die Erlösung. Die eigentliche Raffinesse liegt, wie so oft bei Ghost, in den Texten aller Songs, die den typischen Twist liefern. Mit „Peacefield“ gelingt ein majestätischer Auftakt, der allerdings etwas Zeit braucht, um seine volle Wirkung zu entfalten.
Es folgt die zweite Singleauskopplung „Lachryma“, was soviel wie „Träne“ oder „Leid“ bedeutet. Der Song tritt mühelos in die Fußstapfen von „Square Hammer“, einem der größten Erfolge der Band. Anspielungen auf die Riffs von „Absolution“ und „Cirice“ aus dem Album „Meliora“ fehlen ebenso wenig wie eine Anspielung auf „Poison“ von Alice Cooper im Refrain. Treibende Rhythmen, prägnante Riffs und ein markantes Gitarrensolo erinnern stilistisch an „Rats“ vom Album „Prequelle“. Inhaltlich bleibt „Lachryma“ mehrdeutig. Es geht um den inneren Kampf einer Person mit sich selbst, vielleicht aber auch um den Schmerz einer zerbrochenen Beziehung.
Titel Nummer drei ist zugleich die erste Single-Auskopplung und kam buchstäblich aus dem Nichts. Diese Überraschung mussten selbst eingefleischte Fans erst einmal verdauen. Denn mit dem Song wurde nicht nur neues Material präsentiert, sondern auch der neue Frontmann Papa Perpetua, kurz „V“, enthüllt. Und damit nicht genug: Zum ersten Mal in der Bandgeschichte zeigt sich Tobias Forge als Frontmann nicht vollständig maskiert. Für ihn wie auch für viele Fans war das ein unerwarteter, teils gewöhnungsbedürftiger Schritt.
Wer hätte gedacht, dass eine Ballade im Stil von Bon Jovi der 1980er Jahre auch heute noch so direkt ins Herz treffen kann? Ja, richtig gelesen – eine Rockballade. Und was für eine! „Guiding Lights“ ist großartig komponiert, stimmig inszeniert und gekrönt von einem fantastischen Gitarrensolo – eingespielt von Fredrik Åkesson, Gitarrist von Opeth und langjähriger Freund von Forge. Der Höhepunkt des Albums ist „De Profundis Borealis“. Hier lässt Tobias Forge seine Black-Metal-Seite frei spielen. In nur 22 Sekunden täuscht er den Hörer: Erst ein kurzes Piano-Intro, dann kracht ein hartes Gitarrenriff herein und treibt den Song in einen modernen Metal-Beat. Für Ghost sind das ungewohnte, frische Klänge, die zeigen, wie vielseitig Forge schreiben kann. Ein eher tröstliches Stück folgt mit „Cenotaph“ („leeres Grab“). Das Lied wirkt wie ein Appell, die Erinnerung an geliebte Verstorbene wach zu halten, denn sie begleiten uns überall hin: „Where ever I go, you’re always there, riding next to me.“ Möglicherweise ist diese Botschaft an Forges verstorbenen Bruder gerichtet, mit dem er zeitlebens eng verbunden war. Ohne ihn wäre Ghost wohl nie entstanden. Musikalisch lädt „Cenotaph“ zum Mitsingen ein und verbreitet gute Laune.
Wie auf jedem Ghost-Album gibt es auch hier ein Augenzwinkern – oft mit versteckter Kritik an den politischen Verhältnissen. Richtete Forge auf „Impera“ mit „Twenties“ noch seine Worte an Donald Trump, folgt nun ein weiterer Seitenhieb. „Missilia Amori“ klingt wie eine typische 80er-Jahre-Rockhymne à la Manowar und eine Anspielung auf einige Songtexte von Paul Stanley (Kiss). Doch wer genau hinhört, entdeckt subtile Nuancen. Ein echtes Highlight ist „Marks of the Evil One“, das die apokalyptischen Reiter aus der Bibel thematisiert. Forge überträgt deren Symbolik auf unsere Gegenwart: Naturkatastrophen, Klimawandel, Kriege und politische Krisen. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob wir dem Bösen nachgeben oder unser Handeln stets hinterfragen. Zudem klingt das Gitarrensolo fast wie eine Hommage an Metallicas „The Four Horsemen“ vom Debütalbum „Kill ’Em All“. Ein Song, der sofort ins Ohr geht, aber erst nach mehrmaligem Hören seine ganze Kraft entfaltet. Kaum hatte die Band ihre neue Tour gestartet und die ersten Konzerte gespielt, fanden sich immer wieder Stücke des aktuellen Albums auf der Setlist. Allen voran das vorletzte Stück „Umbra“, das bereits im Vorfeld als potenzieller Favorit gehandelt wurde. Tatsächlich bietet der Song eine kraftvolle Mischung aus 80er-Jahre-inspirierten Gitarrenriffs und schwebenden Synthesizer-Passagen. Besonders ins Ohr sticht jedoch eine unerwartete „Cowbell“, die zwischen den treibenden Rhythmen aufblitzt – ein augenzwinkerndes Detail, dessen Bedeutung wohl nur Tobias Forge kennt. Mit seiner komplexen Struktur fügt sich „Umbra“ nahtlos in das vielschichtige Klangbild des Albums ein. Den Abschluss bildet „Excelsis“, das theatralisch-dramatische Finale einer musikalischen Reise zwischen Vergänglichkeit und Hoffnung. Kurz zusammengefasst: Der Tod ist unausweichlich – doch am Ende scheint bei Ghost immer ein Lichtstrahl hindurch.
„Skeletá“ ist ein vielschichtiges Album, das durch seine Tiefe und Komplexität besticht. Hat man erst einmal die metaphorischen „Knochen freigelegt“, entfaltet es eine Sogwirkung, der man sich nur schwer entziehen kann. Gesanglich präsentiert sich Forge auf seinem bislang stärksten Niveau – ein eindrucksvoller Beleg für seine kontinuierliche stimmliche Weiterentwicklung seit dem Jahr 2010. Für ein optimales Hörerlebnis empfiehlt es sich, das Album auf Vinyl zu genießen. Bei der Produktion wurde im Vergleich zu „Impera“ noch einmal eine Schippe draufgelegt. Auch gestalterisch setzt das Werk neue Maßstäbe: Für das Cover-Artwork arbeitete Forge erneut mit dem Künstler Zbigniew M. Bielak zusammen, dessen Illustrationen durch beeindruckende visuelle Details bestechen. Vor allem die Rückseite dürfte die Herzen von Star Wars-Fans höher schlagen lassen.